Ein klassisches Nachverdichtungsprojekt: Ein (vergleichsweise schmales) Haus mit zwei Vollgeschossen und Dachgeschoss (und zwei Wohnungen und einer Gewerbeeinheit) wird durch ein gleich breites Haus mit drei Vollgeschossen und Dachgeschoss (und 5 Wohnungen und einer Gewerbeeinheit) ersetzt. Doch die Verdichtung findet nicht nur in der Höhe statt, sondern ganz besonders in der Tiefe. Das neue Gebäude lotet die gegebene Tiefe und das Baurecht des Grundstückes mit dem Motiv eines Terrassenhauses flächenmäßig genauso maximal aus wie es formal und architektonisch die Aufgabe auf die (terrassierte) Spitze treibt. Also gleichermaßen die Kräfte boomender Nachverdichtung (auch in oberbayerischen Kleinstädten) für eine äußerst kontrollierte architektonisch elaborierte Figur benutzt.
Die daraus resultierende architektonische Besonderheit oder einfach nur Antwort ist ohne falschen Zweifel ein sehr eigenartiges Zwitterwesen: Vergleichsweise konventionelles, ja unscheinbares (vielleicht sogar biederes) Stadthaus zur Straße und sozusagen entfesselter und doch leicht historisierender oder mindestens formalistischer vielleicht auch regionaler Modernismus zum Hof. Und nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – das Projekt ist ein Ritt auf der Rasierklinge des Banalen (des Gewöhnlichen, des Trivialen, des Profanen). Aber nicht im „englischen romantischen“ Sinne. Die Zutaten, die von vorneherein der Aufgabe einbeschrieben sind, waren diejenigen klassischer zeitgenössischer Bauträgertätigkeit hierzulande: von großen Bädern, Fluren bzw. Dielen, Abstellkammern, Kunststofffenstern mit Sprossen in den Scheibenzwischenräumen, Kunststoffrollladen, über einfachsten Innen- und Außenputz an allen Bauteilen von den Decken bis zu den Betonstützen. Auf der bautechnisch „moralischen“ Habenseite bleiben allerdings und immerhin auch ein monolithisches Ziegelmauerwerk mit Mineralwolle gefüllt – also kein WDVS, ein ordentlicher Holzdachstuhl, solide Spenglerarbeiten, solide Dachziegel, und im Inneren: Stahlzargentüren, Granitsteinbelag auf den Treppen und Fensterbänken, immerhin Echtholzböden und kein Laminat.
Aber – um auch hier die Realität im Dorf zu lassen: Das Projekt handelt nicht von elaborierten Details, es handelt nicht von künstlerisch-kompositorischen Fingerübungen oder wahlweise Klimmzügen, es handelt an keiner Stelle von einer Autonomie architektonischer Entscheidungen. Es handelt vielmehr von einer Art hyperrealistischen Akzeptanz der Bedingungen und keiner moralischen Bewertung derselben. Es handelt aber trotzdem von der Frage, wie in dieser Gemengelage so etwas wie baukünstlerische Akte doch möglich sind und am Ende dem architektonischen Resultat gleichermaßen ein bisschen Würde, ein bisschen augenzwinkernden Humor und schließlich eine hinreichend große Verwirrung einbeschrieben werden kann. Eigentlich wollen wir ja nicht immer mit Hermann Czech um die Ecke kommen, wohl wissend dass wir von dessen Resultaten selbst noch meilenweit entfernt sind – und doch sehen wir als Grundlage für die Beschäftigung mit derartigen Aufgaben eine Art ähnliche Unabhängigkeit von den herrschenden geschmacklichen (Vor-)urteilen als wesentlich an und auch den Verzicht auf eine a priori gesetzte formale eigene Handschrift.
Und ja – abseits der „Erscheinung“ ist die eigentliche Struktur des Hauses, sind die Grundrissfiguren ihrem Wesen nach kompromisslose Antworten auf die Frage nach gut vermarktbaren Grundrissen im gegebenen Kontext. Und etwa der fundamentale geometrische Kniff, den Aufzug zu drehen, der wiederum alles weitere in Bewegung versetzt, ist zu allererst der Suche nach dem effizientesten und gleichzeitig großzügigsten Einspänner-Grundriss geschuldet. Konkret ermöglicht etwa die Verdrehung den flächeneffizientesten Nachweis des Rollstuhlwenderadiuses vor dem Aufzug. Insgesamt bleiben dadurch ca. zwei Quadratmeter mehr vermarktbare Wohnfläche verglichen mit einem Aufzugkern im orthogonalen Raster. Die damit auftauchende räumliche Komplexität und Identität ist damit einerseits das kostenneutrale Nebenprodukt und doch das stetig gesuchte, kontrolliert architektonische Hauptmoment des Entwurfes.
Und natürlich geistern im Hinterkopf Referenzen umher – latent immer als zu große Schuhe angesichts unserer sehr profan-pragmatischen Lösungen und doch seien sie hier benannt und dechiffriert– verdrehte Kerne bei frühen Diener & Diener Projekten, die die Wohnung unter Spannung setzen, oder rationale Formalismen in der äußeren Erscheinung wie bei Loos oder Ungers oder heutzutage bei Uwe Schröder und bevor wir hier noch begründen, warum es am Ende noch Bezüge zu Robert Mallet-Stevens geben könnte – hören wir aber auch schon wieder auf.
Programme Housing
Location Altötting
Client private
Service Lph 1-5 HOAI together with Harald Fuchshuber
Team Reem Almannai, Florian Fischer, Katharina Püschel (PL), Christoph Brösamle (PL)
Photography Sebastian Schels, Pk Odessa
Duration 2017-2020
Status built